Laut den Gerichtsprotokollen des Herrn und Richters zu Büron, Hemmann von Rüssegg, soll Anna Vögtlin keine Hiesige gewesen sein. Sie sei aus dem badischen Bischoffingen gekommen. Am 23. Mai 1447 soll sie in Ettiswil eine Hostie aus der Pfarrkirche geraubt haben. Als ihr die Hostie immer schwerer geworden sei, habe sie diese weggeworfen. Da sei ein Wunder geschehen, die
Hostie hätte sich in eine weisse Blume verwandelt.
Auf dem Weg zurück in ihre Heimat sei Anna Vögtlin in Triengen aufgegriffen worden. Nach einem «peinlichen Verhör» (unter Androhung oder Anwendung von Folter) habe sie ein Geständnis abgelegt: Sie habe in «drückender Armut und grossem Elend» gelebt. Den Raub habe sie für einen «verdorbenen Menschen»
ausgeführt, der ihr Gutes versprochen habe, wenn sie sich den «bösen Geistern» ausliefere. Sie wurde zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt und am 16. Juni 1447 in Büron hingerichtet. In Ettiswil liessen die Gnädigen Herren von Luzern eine Wallfahrtskapelle bauen.
Auf einer historischen Karte von 1930 ist das Hexen- bächlein noch vermerkt, seit 2010 nicht mehr. Es liegt auf Trienger Boden an der Südseite des Flugplatzes. Um das Gewässer ranken sich etliche Überlieferungen. Eine Sage erzählt, dass Anna Vögtlin in der Nähe des Bachs verbrannt und ihre Asche dort verstreut worden sei. Seither erscheine sie dort von Zeit zu Zeit. Eine andere Legende besagt, dass ein Mann im 19. Jahr-hundert von Triengen nach Büron gelaufen sei, um dort an ein Fest zu gehen. Beim Bächlein habe er eine junge Frau gesehen. Diese habe ihn begleitet und mit ihm getanzt. Beim Abschied habe der Mann bemerkt, dass sie einen Geissfuss hatte. Darauf habe sie sich in einen Hund verwandelt und sei verschwunden. Seither wollen einige Zeugen erlebt haben, wie ihnen in der Nacht eine Frau beim Hexenbächlein erschienen sei.
In den 1930er-Jahren schienen sich die Menschen auch in der Schweiz vermehrt für ihre völkische Abstammung zu interessieren. Man machte sich auf die Suche nach dem «Ur-Schweizer». Im Wauwilermoos wurden im Herbst 1933 die sogenannten «ältesten Wohnbauten der Schweiz entdeckt». Der Grabungsleiter in Egolzwil war der Archäologieprofessor Hans Reinerth aus Thübingen, der den Nationalsozialisten zudiente. Er war auch im Kanton Luzern hochangesehen.
In diese Phase der Begeisterung für eine heldenhafte Abstammungsgeschichte fallen auch zwei Vorfälle bei den Keltengräbern aus der Hallstattzeit (800 bis 480 v.Chr.) im Längemoos und im Gibelwald. 1936 sollen einige Jugendliche, angeregt durch den Schulunterricht, Grabhügel ausgeraubt haben. Danach sollen andere Leute das grösste Hügelgrab im Gibelwald sogar mit Dynamit traktiert haben. «Des trostlosen Trümmer- haufens hat sich dann das Heimatmuseum Schötz angenommen und ihn angekauft», heisst es im Jahrbuch der Schweizer Gesellschaft für Urgeschichte von 1945.
Chronik Gemeinde Büron.
Kurz Siegfried, Bestattungsbrauch in der westlichen Hallstattkultur, Band 1, Münster, New York 1997.
Lustenberger Werner, Wahr ist, was uns nützt! Zur Urgeschichte im Dienst der Nationalsozialisten. In: Argovia, Jahresschrift der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau. 2012.
Müller Felix, Frey Jonathan, Haessler Adrian, Lötscher Christoph, Germanenerbe und Schweizertum. Archäologie im Dritten Reich und die Reaktionen der Schweiz, in: Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, 86, 2003, S.191-198.
Aargauer Zeitung, Jörg Meier, 18.8.17.
Entdecke Luzern, «Warum musste Anna Vögtlin sterben».
Geoportal, Archäologische Fundstellen.
Geoportal, Historische Karten, Karte Büron 1930.
Korporation Luzern, E-Codices, Diebold Schilling Chronik, p. 120.
Region Willisau, Luzern, Sakramentskapelle, St. Anna Kapelle.
Panoramafotografie, Fotograf Marco Bucher, Juli 2021.
Abb.1: Korporation Luzern, Chronik Diebold Schiling 1513, e-codices.
Abb.2: Korporation Luzern, Chronik Diebold Schiling 1513.
Abb.3: Korporation Luzern, Chronik Diebold Schiling 1513.
Abb.4: Pfarrei Ettiswil.
Abb.5: Geoportal, historische Karten, Karte Büron 1930, Hexenbächli markiert.
Abb.6: Inhalte aus dem Archäologischem Fundstelleninventar des Kanton Luzern, Gestaltung von Pinato Graphics, 2022.
Abb.7: Museum Schötz, Fotografie von Hansjörg Luterbach.
Abb.8: Museum Schötz, Fotografie von Hansjörg Luterbach.